Unbelichteten Uralt-Film zu verwenden ist für mich schon seit langem eine interessante Herausforderung.
Von ersten Versuchen mit Film aus den 1960ern bin ich über die Jahre dann bis zu Agfa Trockenplatten aus ca. 1916 gelangt.
Vor einigen Wochen hatte ich nun aber das Glück, eine unbelichtete Rolle Eastman Transparent Film, abgelaufen am 1.1.1903!! zu ergattern.
Dieser Film ist damit nun heute, in 2021, auf jeden Fall mal über 118 Jahre abgelaufen.
Wenn man sich vorstellt, dass der Film 1-2 Jahre davor produziert wurde, ist er nun wohl rund 120 Jahre alt!
Siehe den im Bild unten rot unterstrichenen Bereich, zu entwickeln vor "January 1st, 1903":
Es folgten meine übliche Schritte mit Uralt-Film:
Zuerst untersuchte ich den Film vorsichtig in der Dunkelkammer, die Rolle war noch original verschlossen, ich war positiv überrascht, in welch gutem Zustand der Film optisch war.
Dann belichtete ich auf einem kleinen Probestreifen (wie mit Fotopapier) mit dem Vergrößerer eine Belichtungsreihe.
In meiner Caffenol-für-Fotopapier-Mischung entwickelte ich auf Sicht (bei Rotlicht) und sah zu meine Freude: Der Film lebte noch und brachte ein überraschend gutes Bild.
Einige Tage später probierte ich dann ein erstes echtes Testmotiv, von meinem Balkon aus auf die Hausdächer der Innenstadt, am Stativ, 3 Bilder mit 8 min, 16 min, 32 min Belichtungszeit.
Ich wusste ja nicht, wie lange ich belichten sollte und so fand ich heraus, dass ISO 3 für damals ganz gut gepasst hatte.
Wieder in meiner Caffenol-Mischung entwickelt fand ich auch eine passende Entwicklungsdauer von 50 Sekunden bei 20°C.
Damit wusste ich nun sowohl eine passende Belichtungszeit (basierend auf ISO 3 + 12 Blenden länger für die 120 Jahre Alter), als auch einen passenden Entwicklungsprozess.
Schlussendlich entwarf ich mir noch eine Schneidehilfe, die ich dann 3D-druckte um damit den 8cm breiten Film auf 6cm (120er Format) zuschneiden zu können.
Damit konnte ich leeres Papier eines aufgebrauchten 120er Films wiederverwenden und dort je zum Beispiel ein Bild des alten Film festmachen.
Gestern Samstag war es dann endlich soweit, das erste richtige Foto sollte entstehen.
Ich hatte in einer 120er Rolle Papier genug alten Film für ein einzelnes Bild vorbereitet, das war die extra Herausforderungen, EIN Foto, EIN Versuch, es musste sofort klappen!
Gegen Mittag fuhr ich mit meiner guten, alten Lubitel Mittelformatkamera, Stativ, Drahtauslöser, der Filmrolle und einem Belichtungsmesser los.
Mit gemessenen 1/15s bei f5/6 und ISO 3 und 12 Blenden dazu für das Alter kam ich auf 4 min Belichtungszeit.
Dann kam mir die Idee, ich könnte doch einfach schnell ins Bild rennen und mich dort wo möglichst unbewegt hinstellen.
Ich könnte so tun, als würde ich dort einfach nur stehen und auf meinem Smartphone etwas lesen, tatsächlich könnte ich so aber die Stoppuhr genau beobachten.
So drückte ich den Drahtauslöser, startete die Stoppuhr am Smartphone, rannte an die gewünschte Stelle im Bild und schaute einfach starr nach unten auf das Display.
4 min sind eine lange Zeit um starr zu stehen, und es hilft auch nicht, mitten auf einer Straße zu stehen und zu hoffen, dass wohl gerade niemand dort fahren will.
Nach 3:45min rannte ich zurück zur Kamera um sie nach exakt 4 min Belichtungszeit wieder zu stoppen.
Heute Vormittag hab ich das Bild dann entwickelt:
Sekunden vor der Belichtung:
So sieht der Film während des Trocknens aus:
Ich bin nach wie vor total begeistert davon, wie toll der Film nach 120 Jahren noch funktioniert.
Als nächstes werde ich mir eine Schneidehilfe für 35mm entwerfen um ein paar weitere Bilder in einer 35mm Kamera zu belichten.
Die 35mm Kamera hat ein 3.5 Blenden schnelleres Objektiv, damit werden vergleichsweise kurze Belichtungszeiten von ein paar Sekunden möglich.
Außerdem brauche ich damit viel weniger Film auf und kann noch mehr Fotos auf diesem besonderem Film schießen und noch länger damit Freude haben.
Denn wer weiß, ob ich jemals wieder einen so alten, oder gar noch älteren, Film erfolgreich für aktuelle Fotografie verwenden werden kann.